Blick in die Weltenmechanik

(von Ilse Sendler)

Es gibt einen alten Holzstich, den wir im Human Design gerne zur Illustration verwenden: Ein Mann kniet am Ende der Welt, steckt seinen Kopf durch das Himmelsgewölbe hinaus und sieht die Räder und Bahnen der Weltenmechanik.
Genau das tun wir eigentlich auch!

Die Human Design Körpergrafik ist eine Landkarte oder ein Schaltplan der individuellen Mechanik eines einzelnen Menschen. Sie ist eine Synthese aus den alten und neuen Wissenschaften, ein Brückenschlag zwischen verschiedenen ‚Sprachen’ und/oder Zeitalter.
Im alten China z.B. wurden die 64 Hexagramme des I Ging als ‚Grundbausteine des Lebens’ betrachtet, alle ‚Eigenschaften’, die ein Mensch haben kann, waren damit beschreibbar. Heute belächeln wir so eine Sichtweise gerne (was manchmal leider sehr leicht fällt, wenn man die Seltsamkeiten betrachtet, die auf angeblicher Basis einer alten Wissenschaft entstanden sind).

Da beziehen wir uns doch viel lieber auf die moderne Wissenschaft, und im Zusammenhang mit dem alten I Ging ist es die Genetik! Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat große Schlagzeilen gemacht. Bei einem zweiten Blick könnte man allerdings erstaunt feststellen, dass auch die Genetik von 64 ‚Grundbausteinen’ spricht, von 64 Codons, die man als ‚Alphabet der Genetik’ bezeichnen kann. Diese 64 ‚Buchstaben’ bilden die einzelnen ‚Sätze und Satzzeichen’ unserer DNS und damit letztendlich unser ‚Buch’, unser jeweils individuelles Genom.
Aber nicht nur die gleiche Anzahl verblüfft, jedes Hexagramm des alten I Gings kann nicht nur einem Codon und damit einer bestimmten Aminosäure zugeordnet werden, auch der strukturelle Aufbau ist eng verwandt. (Siehe: Einführung in die Rave Genetik, Dr. Andrea Reikl-Wolf)
Wir drücken es heute eben nur ‚ein bisschen’ anders aus!

Im ‚Schaltplan’ eines Menschen können diese 64 Bausteine nun wunderbar ‚gelesen’ werden, und im Zusammenspiel bzw. in der gesamten Matrix des Körperdiagramms ergibt sich ein eindrucksvoll klares Bild. Die Beschreibung, die Funktionsweise, die genetische Prädisposition eines Individuums. Sie ist – so wie das Genom – immer unterschiedlich. Wir können mit anderen Menschen Ähnlichkeiten haben, aber wir sind niemals gleich. Das Human Design System ist die Wissenschaft der Differenziertheit.

Hier möchte ich einen kurzen Blick auf die Zentren werfen. Die 64 Bausteine (‚Tore’) sind in 9 Zentren angeordnet, die wiederum über die sogenannten Kanäle miteinander verbunden sind. Dies ist die menschliche Matrix (andere Lebensformen haben ein anderes Genom und auch im HDS eine andere Matrix), abgebildet und ablesbar in der Körpergrafik.

Auch die Zentren haben einen doppelten Bezug: einerseits zu den alten Chakren-Systemen und andererseits zur menschlichen Biochemie. Die Zentren bilden hormonelle bzw. organische Vorgänge unseres Körpers ab und beschreiben die unterschiedlichen Aufgaben, die unser Körper erfüllt.

Da wären zuerst einmal 4 verschiedene ‚Motor-Zentren’: Körperkraft und Sexualität, Emotionen, Willenskraft und eine ‘in Gang-Setzungs’ Kraft.
Alleine diese Trennung und Unterscheidung ist faszinierend, die Möglichkeit genau zu unterscheiden, welche Art von Energie jemanden antreibt, ist äußerst aufschlussreich.

Die Aktivierung der Motor-Zentren ist eng mit dem Typus verknüpft. Ein Grundmerkmal des Typus ist die Frage, ob ein Zentrum bzw. welches Zentrum aktiviert ist und auf welche Art sich eine bestimmte Energie äußern kann. Die Frage, ob man nun ein Energie- oder ein Nicht-Energie-Typ ist, beantwortet sich nicht (nur) durch die Menge des Antriebs, sondern durch die Art der Verknüpfung der aktivierten Zentren.

Dann besitzen wir Menschen verschiedene Arten der Wahrnehmung: Körperwahrnehmung, intellektuelle Wahrnehmung, und – ein Blick in die nahe Zukunft – emotionale Wahrnehmung, die für uns hier und heute erst ein Potential ist, das kurz vor seiner Entfaltung steht.

Das Milz-Zentrum in der Körpergrafik ist die älteste Wahrnehmung, die wir auch mit anderen Lebewesen teilen: es ist Instinkt, Intuition und Geschmack; die Körperwahrnehmung, deren primäre Aufgabe es ist, unser Leben und Wohlbefinden sicher zu stellen.
Unsere Gegenwart ist aber eher geprägt durch die intellektuelle Wahrnehmung, ein Zentrum, das nur wir Menschen besitzen. Es ist ein ‚neueres’ Zentrum und in vieler Hinsicht gleichzeitig Fluch und Segen unseres Lebens. Als richtungweisende Kraft völlig ungeeignet, als ‚äußere Autorität’ ein ideales Verbindungsglied von einem zum anderen.
Unser Denken, unsere ganze ‚Vernunft’ ist ein echtes Perpetuum mobile: ohne Ende kann es abwägen, vergleichen und sinnieren, für jedes ‚Pro’ gibt es ein gleichwertiges ‚Contra’. Unterhaltend, interessant, spannend… – aber niemals endgültig, und daher als Entscheidungsgrundlage ungeeignet. Wahre Antworten gibt es immer nur im Körper und meist auch noch erst im Laufe der Zeit.

Denken braucht Anregung! Diese kommt aus dem Bereich der Inspiration. Hier finden sich alle Fragen der Menschheit, auch wiederum sehr aufschlussreich unterteilt in verschiedene Bereiche: logisch, abstrakt oder individuell, abhängig vom jeweiligen ‚genetischen Text’, der hier hervorgehoben (aktiviert) ist, oder eben nicht.

Eine essentielle Frage – ‚Wer bin ich?’ – liegt im Human Design in einem weiteren Bereich: im G-Zentrum, dem Bereich der Identität, Ausrichtung und Liebe. ‚Wo gehe ich hin’ und ‚wer/was bin ich im Vergleich zu den Anderen’, das sind die Themen, die hier festgelegt werden – oder eben offen für Konditionierung sind.
Das ist der grundsätzliche Unterschied, der sich in jedem Zentrum (und natürlich auch in jedem der 64 Tore) ablesen lässt. ‚Aktiviert’ bedeutet eine bestimmte Festlegung, damit einerseits Sicherheit und Verlässlichkeit, andererseits aber natürlich auch eine Limitierung und Einschränkung. ‚Offen’ bedeutet keine Festlegung, keine Sicherheit, aber damit die Fähigkeit Neues zu lernen und zu erfahren und mit der Außenwelt konkret in Verbindung zu treten.

Das letzte Zentrum ist das vielleicht wichtigste: Das Kehl-Zentrum, der Bereich des Sprechens und Handelns. Bin ich dazu angelegt, aus mir heraus sprechen und/oder handeln zu können? Wenn ja – wie? Wenn nein – was braucht es dann dazu?

Wo (in welchem Zentrum) nun was (welche Aktivierung) liegt, ist neben dem Typus der erste Blick, die erste Annäherung an das Wesen eines Menschen. Es ist ein erster Schritt auf einer beliebig langen Reise in unser Innerstes, mit dem wertfreie Selbsterkenntnis möglich wird. Der Blick auf die Mechanik, auf die eigene, individuelle, technische Struktur, ist immer eine Befreiung. Innerhalb aller Zwänge, Konventionen und Konditionierungen erkennen zu können, wer man wirklich ist und wie man ‚korrekt’ funktioniert, ist ein unglaubliches Geschenk – das ich mit Sicherheit niemals mehr missen möchte! Genauso wie die ‚Aha’ Momente und herzerfrischenden Lacher auf diesem (zum Glück) nicht endenden Weg.